Die Unterwerfung des Eigenen

Eine wesentliche Bedingung für das Kommunizieren ist die Unterwerfung (Subjektion) der eigenen Gedankengänge unter den Anderen.


Subjektion

Unterwerfung des Eigenen, das heißt: Zurückstellen der eigenen Gedanken, sich auf den Anderen und das Thema einlassen


Kommunikation ist ein komplexer gemeinschaftlicher Prozess, in dem immer mehrere Lebewesen situationsbezogen aufeinander ausgerichtet sind, und der immer alle Beteiligten umfasst. Das bedeutet, dass das eigene Selbst nicht mehr ausschließlich im Vordergrund stehen kann, wenn Kommunikation ermöglicht werden soll. Die eigenen Gedankengänge und Ideen müssen momentan zurückgestellt werden zugunsten einer Ausrichtung auf den Anderen und auf das Thema. In Kommunikationsprozessen sind die eigenen Gedankengänge vom Anderen angeleitet, sie sind nicht mehr ausschließlich durch das eigene Selbst bestimmt.

Die Subjektion des Eigenen findet beispielsweise im Zuhören statt. Wer richtig zuhört, ist nicht mehr nur bei sich selbst und seinen eigenen Gedanken und Meinungen. Er ist mit seiner Wahrnehmung und mit seiner Aufmerksamkeit zu einem großen Teil beim Anderen, bei dessen Erscheinung, seiner Haltung, seinen Bewegungen, seiner Stimme, seinen Worten, seiner Argumentation. Des Weiteren ist er mit seiner Aufmerksamkeit beim Thema, das heißt, er denkt nicht an etwas völlig anderes. Sofern er an Anderes denkt, ist er momentan aus dem betreffenden Kommunikationsprozess heraus.

Durch die Subjektion des Eigenen entsteht eine Asymmetrie im Kommunikationsprozess. – Diese Bedingung wurde von Gerold Ungeheuer Pfeilsymbol: aus der Webseite heraus W-Symbol: Link zur Wikipedia (1930–1982) ein „wesentliches Moment kommunikativer Sozialhandlung“ genannt und als „kommunikativ-funktionelle Unterwerfung des Hörers unter den Sprecher“ beschrieben („Vor-Urteile über Sprechen, Mitteilen, Verstehen“, in: Gerold Ungeheuer: Kommunikationstheoretische Schriften I: Sprechen, Mitteilen, Verstehen, Aachen 1987, S. 290-338; hier S. 317).

Seine eigenen Gedankengänge unter den Anderen zu unterwerfen bedeutet jedoch nicht, sich völlig aufzugeben. Verständigung als sozialer Prozess besteht darin, dass weder nur der Eine noch nur der Andere absolut vorherrschend ist. Die Formulierung „weder nur der Eine – noch nur der Andere“ ergibt sich aus der nichtdualistischen Denkweise, die bei der Beobachtung und Beschreibung des Phänomens Kommunikation angewendet wird. Das heißt auch, dass die durch die Unterwerfung entstehende Asymmetrie nie absolut sein kann. Wäre sie absolut, könnte für diesen Fall nicht mehr von Kommunikation gesprochen werden.

Subjektion und Kommunikationserfolg


Subjektion als Kriterium für Kommunikationserfolg

Die Unterwerfung des Eigenen kann als hartes Kriterium für das Zustandekommen von Kommunikation angesehen werden.


Subjektion gelingt selten lückenlos; eigene Ideen können die Subjektion momentan unterbrechen. Ein Kommunikationsprozess kann in diesem Moment kurzfristig unterbrochen sein, ohne dass dies von außen sichtbar wird, und sogar ohne dass dies demjenigen Partner auffällt, dem nicht mehr gefolgt wird. Wenn aber ein Partner über einen längeren Zeitraum sich nicht dem Anderen unterwirft und bei seinen eigenen Gedanken bleibt oder zu ihnen zurückkehrt, ist kein Kommunikationsprozess möglich.

Subjektion (Zuhören) kann simuliert werden. Bei einer Überprüfung des Kommunikationserfolgs kommt eine solche Simulation schnell heraus: Jemand, der nicht zuhört, kann hinterher keine befriedigende Antwort auf Fragen geben. Der letzte Satz einer Kommunikation kann in der Regel zwar auf Nachfrage hin direkt wiederholt werden („Was habe ich eben gesagt?“). Die letzten Wörter können wiedergegeben werden, auch ohne dass sie verstanden worden sind. Hier wirkt jedoch nur das Kurzzeitgedächtnis. Da aber keine Subjektion (Unterwerfung) der eigenen Gedanken stattfand, konnte keine Verständigung folgen. Nach wenigen Augenblicken, wenn das Kurzzeitgedächtnis nachlässt, ist aber nichts Inhaltliches mehr vorhanden, das zuvor besprochen wurde. Dies ist ein alltägliches Kommunikationsproblem, das nicht aus der Welt zu schaffen ist.