Differenz statt Konsens

Differenzen mit Anderen sind eine wichtige Bedingung für Kommunikation.


Differenz als Antrieb

Differenzen können als Antrieb gesehen werden, vor allem auch für Kommunikation. Bei Übereinstimmung ist keine Kommunikation notwendig.


Hier werden Differenzen – in Anlehnung an Bernhard Waldenfels – folgendermaßen aufgefasst: Zwischen mir und dem Anderen ereignet sich etwas, das wir als Einzelpersonen nicht vollständig bestimmen können, und das uns beide nicht in Ruhe lässt, sondern zu etwas auffordert – beispielsweise zu kommunizieren, um diese Differenzen zu lösen oder auch weiter zu treiben und neue Differenzen aufzubauen.

Hier ist von „Differenz“ und „Übereinstimmung“ die Rede. Bezüglich Kommunikation wird auch von von „Dissens“ oder „Konsens“ gesprochen. Letztere Bezeichnungen gehören von der Grundbedeutung in den Bereich der Wahrnehmung (lateinisch sentio „ich nehme wahr, empfinde, fühle“). Differenz und Übereinstimmung sind allgemeinere Begriffe. Der Differenzbegriff wird auch im problemtheoretischen Ansatz verwendet, der hier vertreten wird.

Mit „Differenzen“ ist nicht „Streit“ gemeint. Dass Differenzen als Antrieb für Kommunikation gesehen werden, soll deshalb nicht heißen, dass Kommunizieren mit Streiten gleichgesetzt würde. Differenzen können sowohl mit positiven als auch mit negativen Emotionen verbunden sein, sie können ein unterschiedliches Ausmaß erreichen.

In Talkshows wird besonders deutlich, wie sehr Differenzen vorausgesetzt werden mit dem Zweck, Kommunikation zu erreichen. Dies wird auf mehrere Arten sichtbar, die auch beide zusammen vorkommen können. Zum Einen werden Persönlichkeiten eingeladen, die sich in großer Differenz zum Publikum befinden, beispielsweise durch Erlebnisse, die sie durchgemacht haben, oder durch sehr abweichende Meinungen, die sie vertreten. Zum Anderen werden Personen zusammengebracht, von denen vorab bekannt ist, dass sie völlig unterschiedliche Meinungen vertreten oder/und unterschiedliche Ziele verfolgen, oder das gleiche Ziel auf unterschiedlichen Wegen erreichen wollen. Somit ist garantiert, dass lebhafte Kommunikation zustande kommt – Kommunikationsprozesse, die nicht in allgemeinem Konsens enden.


Dissens und Konsens

Konsens bezüglich bestimmter Themen und Probleme kann Zweck von Kommunikationsprozessen sein. In absoluter Form (als „regulative Idee“) geht das jedoch nicht, weil sonst alle Kommunikation auf Stillstand und nicht auf ein „Weiter!“ hinauslaufen würde.


Konsens ist das Gegenteil von Dissens (lateinisch consentio „ich stimme überein, ich bin einig mit jemandem“). Konsens kann Zweck von Kommunikationsprozessen sein. Wenn Übereinstimmung erreicht ist, besteht keine Notwendigkeit der Kommunikation mehr über das Thema, bezüglich dessen Konsens herrscht. Ein absoluter Konsens im Sinne einer vollkommen gleichen Wahrnehmung (oder auch: Sichtweise auf die Welt) ist nicht zu erreichen. Das wäre eine Identität aller Beteiligten in Geschichte, Wahrnehmung und Perspektive. Dies ist schon empirisch nicht möglich. Darüber hinaus würde das bedeuten, dass nichts mehr zu sagen wäre, dass alle Entwicklung zum Stillstand käme. Auch dies widerspricht jeglicher Erfahrung. Individuelle Welttheorie und überindividueller Weltbezug, der auf Kompatibilität, nicht Identität beruht, wären nicht denkbar, wenn alles auf absoluten Konsens hinausliefe.

Jochen Hörisch bezeichnet Dissens statt Konsens als „regulative Idee von Kommunikation“. Das verwendet er in einer pointierten Kritik an der Theorie des kommunikativen Handelns von Jürgen Habermas: „Denn wir hören auf zu kommunizieren, wenn es Konsens gibt. Konsens ist der Konkurs des Diskurses. Die Philosophie von Habermas ist politisch, nicht aber analytisch korrekt“ (Hörisch, Jochen: Theorie-Apotheke, Frankfurt am Main 2005: Eichborn Verlag, Seite 168). Habermas geht davon aus, dass die Logik der Sprache und die Kraft des besseren Arguments zum Konsens führe, und dass dies ungeachtet äußerer Zwänge geschähe (Idealvorstellung). Hörisch beschreibt dagegen die Person Habermas an derselben Stelle selbst als „kampfeslustig und dissensorientiert“.

Folgerungen

Überall dort, wo Konsens als hohes Ziel dargestellt oder gar zur Voraussetzung von Kommunikation gemacht werden soll, kann die Frage gestellt werden, ob das praktikabel ist, und ob solche Theorien erfolgreich anwendbar sind. Es könnte gefragt werden, das zu spezifizieren, was mit „Konsens“ gemeint ist, und wie es danach weiter gehen soll.