Häufig wird auf vier Sprechaktklassen nach Habermas verwiesen: Kommunikativa, Konstativa, Repräsentativa und Regulativa; diese Sprechakte sind mit Geltungsansprüchen verbunden: Verständlichkeit, Wahrheit, Wahrhaftigkeit und Angemessenheit (erläuternd siehe z. B.: Dieter Krallmann, Andreas Ziemann: Grundkurs Kommunikationswissenschaft, München 2001, Seite 281–307.) Der Geltungsanspruch der Konstativa (Erklärungen, Berichte, Behauptungen, Bestreitungen) ist bei Habermas „Wahrheit”. Habermas stellt dies in den weiten Rahmen seiner Universalpragmatik und des Konzepts der kommunikativen Rationalität. Die kommunikative Rationalität ist – im Gegensatz zur Zweckrationalität einzelner Akteure – an die Begründbarkeit und Kritisierbarkeit sprachlicher Äußerungen gebunden (vgl. Krallmann/Ziemann, a. a. O, S. 298). Darüber hinaus werden Sprechakte vom Ausgangspunkt der idealen Spechsituation her beschrieben. Auch Habermas ging davon aus, dass diese Idealität unterstellt wird und als ein Prinzip wirkt, dem in der kommunikativen Wirklichkeit jedoch wenig entspricht.
Verständigung kann dieser Auffassung nach nur gelingen, wenn alle daran Beteiligten – die Beteiligung aller ist das Kommunikative daran – beanspruchen oder annehmen, dass das Gesagte „wahr” (und verständlich, wahrhaftig und angemessen) sei. In der idealen Sprechsituation – also wenigstens prinzipiell – könnte die Erfüllung dieser Geltungsansprüche in Frage gestellt, kritisiert oder bestritten werden. In diesem ordnenden und normenstiftenden Rahmen der kommunikativen Rationalität werden Sprechakte (besser ließe sich sagen: kommunikative Ereignisse) also unter anderem mit dem Wahrheitsbegriff verbunden.
Wenn der Kommunikationsbegriff fest an den Wahrheitsbegriff gekoppelt wird, kommt die gesamte erkenntnistheoretische Problematik des Wahrheitsbegriffs mit in die Kommunikationstheorie hinein. Eine Kommunikationstheorie, die Handlungsspielräume für stets neue Situationen liefern soll, würde dadurch erheblich belastet. Ohne die Unterstellung, dass es um Wahres gehe, könne keine „echte” Verständigung möglich sein? Oder umgekehrt: Nur über vermeintlich Wahres könne man sich verständigen? (Insofern als das Wahre verständlich, der sozialen Situation angemessen und in wahrhaftiger Einstellung „ausgedrückt” würde?) Dann ließe sich in einem nächsten Schritt schlussfolgern, dass beim Lügen auf mehreren Ebenen keine erfolgreiche Verständigung stattfinde.
Verständigung wird hier auf dieser Webseite unabhängig von einer Wahrheitsproblematik behandelt. Das heißt: der Hörer versteht im Verständigungsprozess immer etwas in dem Sinne, dass Bedeutungen konstruiert werden. Auch die anderen hier dargestellten Bedingungen des Kommunikationsprozesses wie zum Beispiel Rezipienten-Aktivität, Subjektion, Problemlösung auf mehreren leiblichen Ebenen und auch das Stattfinden einer thematischen Entwicklung werden hier als völlig unabhängig von einer „Wahrheit“ gesehen. Mit Hilfe dieser Bedingungen soll eine Kommunikationstheorie entstehen, die praxisnahe Problemlösungen auf verschiedenen Ebenen ermöglicht.
Auch Lügen gehören zur Kommunikation und sollen durch Kommunikationstheorie behandelt werden. Der Hörer muss sich auf den Lügenden einlassen, und der Lügende muss seine Strategie auf den Hörer ausrichten. Der Hörer muss die Formulierungen des lügenden Sprechers verstehen, Bedeutungen konstruieren und sie mit seinen Erfahrungen und seiner individuellen Welttheorie vereinbaren. Auch „Kompatibilität der Erfahrungen im Verständigungsprozess“ wird unabhängig von einer Wahrheit gesehen. Diese Sichtweise ist formal und zugleich noch ohne eine moralisch-ethische Wertung der Lüge. Die Wahrheitsproblematik würde die der Verständigung übergeordnete Problemstellung betreffen (vergleiche hierzu die Diskussionsseite über den Artikel „Probleme der Kommunikation“ in der Wikipedia).
Nach Gerold Ungeheuer lässt sich das Funktionieren des Kommunikationsprozesses am Beispiel der Lüge besonders gut zeigen. Der Lügner muss alle Bedingungen des Kommunikationsprozesses erfüllen, um den anderen dazu zu bringen, das fälschlich Behauptete zu akzeptieren oder zu glauben. Will er erfolgreich sein, muss der Lügner zudem Verständigung (jetzt im Sinne kompatibler Erfahrungen oder Bewusstseinsinhalte) sogar gegen sein eigenes Wissen um die „wahren“ Bedingungen und Erfahrungen erreichen; und er muss unter Umständen sogar versuchen, Verständigung und Persuasion gegen die Vermutungen, Ahnungen und die Fragen des Hörers zu erreichen. In dieser Sichtweise zeigt sich, dass (im Sinne der Erfüllung der allgemeinen Bedingungen für Kommunikationsprozesse) bei der Lüge einige kommunikative Fähigkeiten wie zum Beispiel die Fähigkeit zur Persuasion und die Fähigkeit zu argumentieren sogar noch größeres Gewicht haben können – unabhängig von einer Wertung der Lüge und ihrer möglichen Folgen.
Auch Problemlösung findet in der Lüge statt: Erfolgreich zu lügen bedeutet genau so wie in anderen Kommunikationsprozessen, simultan auf der Ebene der Verständigung (Kommunikationsziel), der Ebenen der Persuasion (Kommunikationszweck) und der übergeordneten Zwecke, die der Lügner verfolgt, Probleme zu lösen. Unter Umständen (und das sicherlich nicht zu selten) kann Problemlösung durch Lügen auch hilfreich sein, für den Lügenden genauso wie für den Angelogenen. Auch in den Medien und in der Politik wird gelogen, und es scheint, als ob manche dieser Lügen von den Rezipienten nur allzu gerne akzeptiert oder sogar gewünscht werden.