Ansichten über Studienabbruch

Eindrücke vom Universitätsbetrieb

Die Eindrücke in den Seminaren bestätigen, dass viele junge Studierende nicht gut mit dem zurecht kommen, was sie an der Universität erleben und mitmachen müssen. Aus meiner Erfahrung besteht ein Grund in unpassenden Erwartungen an das Fach und in fehlenden Motivationen, sich auf Wissenschaft einzulassen. Kommunikationswissenschaft wird oft mit Journalismus verwechselt. Dies wird zusätzlich verstärkt durch Lehrende, die nicht auf die Probleme der Studierenden eingehen.

Falsche Erwartungen beziehen sich auf die folgenden Anforderungen:

Begriffe zu definieren, analytisch zu denken, zu abstrahieren und stringent zu argumentieren muss geübt werden. Um diese Dinge geht es – nicht primär ums Auswendiglernen.

Einige Studenten tragen ihre Abneigung vor Formeln und Grafiken selbstbewusst wie ein Markenzeichen zur Schau. Bei der Darstellung einer Grafik, die bestimmte Zusammenhänge veranschaulichen sollte, ohne Formeln anzugeben, höre ich plötzlich deutlich aus einer Sitzreihe: „Das nervt.“ Eine andere Studentin antwortete auf die Frage, was sie unter einer Formel und unter Formalisierung verstehen würde: „Formeln sind das, bei dem ich in der Schule immer die Augen zugemacht und weggehört habe.“

Bei Formalisierung geht es um eine besondere Art der Darstellung, in der Zusammenhänge verdeutlicht werden sollen. Das ist nicht einmal mit Mathematik verbunden.

Mein Eindruck geht so weit, dass manche Studierende erwarten, in den Kommunikationswissenschaften etwas zum Auswendig lernen und nachmachen, „irgendwas Praktisches“ vorgesetzt zu bekommen. Nach den Zielen „Arbeit mit Menschen“ und „Marketing“ sind jetzt die Medien in Mode. Es soll später „irgendwas mit Medien“ sein.

Weitere Erläuterungen siehe auf der Meinungsseite über Geisteswissenschaften.

Bewertung und Folgerungen

Zielbildung der Studierenden
Aus klaren Zielen ergibt sich die Motivation. In der Hauptsache sind hier die Lehrenden gefordert, indem sie auf die Ziele der Studierenden eingehen, und indem sie selbst als Vorbilder fungieren. Dazu müssen sie eine Ahnung davon haben, was sich außerhalb der Universität abspielt.
Wissenschaftliche Übungen
Als zweiter wichtiger Punkt ergibt sich die Notwendigkeit der wissenschaftlichen Übungen gerade in den so genannten Geisteswissenschaften. Wissenschaft ist kein von der Wirklichkeit abgehobenes Unterfangen. Eine Übung im wissenschaftlichen Denken stärkt die Problemlösungskompetenz auch und gerade in nichtwissenschaftlichen Berufen. Hierzu benötigt der Lehrende seinerseits entsprechende Motivationen, Einsichten und Fähigkeiten.
Prüfungen
Viertens: Die Art der Prüfung bevorzugt einen bestimmten Typus von Studierenden vor anderen. Bei Klausuren hängt es stark davon ab, wie die Fragen gestellt werden. Möglicherweise wird durch einfache Fragen (gar Multiple Choice!) genau der brave Typus des Auswendiglernens gefördert. Dieser Typus ist für das wissenschaftliche Arbeiten nur bedingt geeignet, weil er keine eigenen Probleme stellt.
Bewerbungsverfahren für Studierende
Eine Vorauswahl von Studierenden kann für beide Seiten vorteilhaft sein. Private Universitäten machen dies vor (siehe einen Artikel Pfeilsymbol: aus der Webseite heraus aus fazjob.net). Auch an den großen staatlichen Universitäten sollte dies nicht prinzipiell unmöglich gemacht werden.

Bald wird sich zeigen, wie sich die Umstellung auf Bachelor und Master auf diese Problematik auswirken wird.

Daten und Belege

Studienabbrecher sind diejenigen, die die Universität ohne Examen verlassen. Studienabbrecher und Wechsler in ein anderes Fach ergeben zusammen den Schwund – die Summe derer, die ein bestimmtes Fach begonnen und nicht mit Examen abgeschlossen haben. Die nachfolgende Tabelle fasst Ergebnisse aus dem Jahr 2002 zusammen. Die Daten können nicht auf die neuesten Entwicklungen (Bachelor und Master) bezogen werden (neue Daten dazu hier Pfeilsymbol: aus der Webseite heraus).

Schwund deutscher Studierende an Universitäten
(2002; ausgewählte Bereiche; in Prozent)
Sprach- und
Kulturwiss.
Sozialwiss.,
Sozialwesen
Abbruch 41 42
+ Wechsel
   in anderes Fach
32 30
= Schwund 73 72
– Zuwanderung
   aus anderem Fach
18 39
= Bilanz 55 33

Übertragen auf einen Grundkurs Kommunikationswissenschaften würde das bedeuten, dass von zwanzig Teilnehmerinnen und Teilnehmern ungefähr vierzehn das Fach nicht mit einem Examen abschließen werden. Zum Vergleich: In den Naturwissenschaften lag der Schwund 2002 insgesamt bei 45%, die Schwundbilanz bei 39%. Am Besten schneidet das Fach Medizin ab mit einem Schwund von 12% und einer Bilanz von 0% (Schwund und Zuwanderung gleichen sich aus).

Die Angaben sind aus einer Studie des Hochschul-Informations-Systems Pfeilsymbol: aus der Webseite heraus entnommen, die beim Bundesministerium für Bildung und Forschung abrufbar ist (Heublein, U.; Schmelzer, R.; Sommer, D.; Spangenberg, H.: Studienabbruchstudie 2002. Die Studienabbrecherquoten in den Fächergruppen und Studienbereichen der Universitäten und Fachhochschulen, Kurzinformation A5/2002, Hochschul-Informations-System, Hannover 2002; Online-Ressource (PD-Format [PDF]Pfeilsymbol: aus der Webseite heraus). Die entsprechenden Tabellen auf den Seiten 40 und 48. Erläuterungen zu Abbruch und Wechsel siehe dort Seite 11. Siehe auch einen Artikel Pfeilsymbol: aus der Webseite heraus, in dem einer der Verfasser, U. Heublein, auf die Ergebnisse der Studie eingeht.

Andere Berichte

Auf SPIEGEL ONLINE (UniSPIEGEL) Pfeilsymbol: aus der Webseite heraus gibt es immer wieder interessante Berichte rund um dieses Thema. Sehr bekannt kam mir der Bericht von Verena Wild Pfeilsymbol: aus der Webseite heraus über ihr erstes Semester in den Medien- und Kulturwissenschaften in Düsseldorf vor. Zum Thema „irgendwas mit Medien“ siehe: Rehländer, Kai (2005): „Junge Akademiker: Sponsored by Sozialamt“ Pfeilsymbol: aus der Webseite heraus, und Hinrichs, Per (2007): „Geisteswissenschaften: die Dickbrettbohrer“ Pfeilsymbol: aus der Webseite heraus. Im ersten Text fällt mir der folgende Satz auf: „… in der Regelstudienzeit ein Germanistikstudium durchgezogen, nebenbei noch freiberuflich …“ Er ist sicherlich zutreffend. Er bestätigt die auf dieser Seite dargestellten Eindrücke, indem er indirekt viel über die Motivation aussagt, wissenschaftlich zu arbeiten: nicht vorhanden. – Auch für die Seite mancher Lehrender könnte ein ähnlicher Satz formuliert werden: „… dieses Semester schnell ein Seminar über dieses Thema als Blockseminar durchgezogen, nebenbei noch für jene Firma oder Institution …“