Rezipieren als Startkriterium für Kommunikationsprozesse

Der Kommmunikationsprozess beginnt mit der Aktivität des Rezipierens (des Hörens oder Lesens).

Diese These bildet zugleich den Hauptsatz der Kommunikation. Sie ergibt sich aus der Eingangsthese, die besagt, dass Kommunikation als sozialer Prozess angesehen werden soll. Ein sozialer Prozess kommt nur durch die Beteiligung Mehrerer zustande. Im Falle des sozialen Prozesses Kommunikation wären das im Minimalfall zwei Menschen (Lebewesen), einer in der Rolle des Rezipienten (z. B. als Hörer) und einer in der Rolle des Produzenten (z. B. als Sprecher). Erst durch die Teilnahme und Aktivität beider ist der Kommunikationsprozess vollständig. Auch Rezipieren wird dabei als eine Aktivität angesehen. (Dies wird deutlich, wenn klar ist, dass Hören und Zuhören sehr anstrengend sein können.)

In anderen Worten: „Der Hörer eröffnet das Gespräch“ (Schmitz, H. Walter, in: ders, (Hrsg.): Vom Sprecher zum Hörer: kommunikationswissenschaftliche Beiträge zur Gesprächsanalyse. Münster: Nodus-Publikationen, 1998, Seite 62.)

Folgen für den Kommunikationsbegriff

Sehr häufig wird davon ausgegangen, dass Kommunikation mit dem Sprechen beginnt. Durch diese Sichtweise wird der Kommunikationsbegriff sehr weit ausgedehnt.

In vielen Situationen sprechen und hören die Teilnehmer in der Regel abwechselnd. Wenn dabei weiterhin auf das Sprechen fokussiert wird, kann es dazu führen, dass ein sozialer Prozess erst dann als Kommunikation angesehen wird, wenn der Rollenwechsel stattgefunden hat, wenn also der zuerst Angesprochene seinerseits spricht und der Andere zuhört.

Wird eine solche Modellierung von Kommunikation auf die „Medien“ angewendet, folgt daraus, dass ein großer Teil der Mediennutzung ohne Kommunikation geschieht. Fernsehen, Radio hören, Bücher lesen wäre dann keine Kommunikation, solange der Zuschauer, Zuhörer, Leser nicht sprachlich antwortet. Das Lesen von Texten verstorbener Autoren wäre dann sogar prinzipiell keine Kommunikation mehr. Erst das Web 2.0 böte demnach die Möglichkeit zur Kommunikation.

So weit wird der Kommunikationsbegriff in der Regel dann doch nicht eingeschränkt. Teilweise werden jedoch zumindest implizit unterschiedliche Kommunikationsbegriffe für unterschiedliche Situationen wie Gespräche, Fernsehen, Bücher lesen angewendet – bis hin zu unterschiedlichen Kommunikationstheorien für unterschiedliche Kommunikationsformen).

Wenn Rezipieren als allgemeine Bedingung für Kommunikationsprozesse und Startkriterium angesehen wird, wird der Kommunikationsbegriff einerseits auf soziale Prozesse beschränkt, andererseits jedoch auf alle Situationen anwendbar, bis hin zur Unabhängigkeit von räumlichen und zeitlichen Bedingungen (Kant zu lesen, wäre demnach Kommunikation). Dadurch wird eine allgemeine Kommunikationstheorie möglich.

Responsivität

Der Philosoph Bernhard Waldenfels ist in seinem Werk Antwortregister (Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag, 1994, 2007) unter phänomenologischer und leibtheoretischer Perspektive auf den Themenbereich des Fragens und Antwortens eingegangen. Er unterscheidet dabei sprachliches Antworten (englisch: to answer) und nichtsprachliches Antworten (englisch: to response). Responsivität – also die Eigenschaft, auf fremde Ansprüche zu antworten – gehört zum phänomenologischen Leibbegriff hinzu.

Aufmerken und Hinhören wird dabei als eine grundlegende, nichtsprachliche Antwort angesehen. Antworten bedeutet hier also nicht, dass ein Hörer seinerseits anfängt, zu sprechen. Der Hörer antwortet auf den Anspruch durch den Anderen bereits dadurch, dass er hinhört. Auch in dieser Sichtweise kann gefolgert werden, dass es – bewusst oder unbewusst – beim Hörer liegt, ob Kommunikation in Gang kommt oder nicht.