Man kann doch ‚nicht kommunizieren‘

Wenn nicht alle Bedingungen für Kommunikation erfüllt sind, kann nicht von Kommunikation gesprochen werden, auch dann nicht, wenn mehrere Menschen sich an einem gemeinsamen Ort aufhalten.

Das wohl bekannteste Axiom Paul Watzlawicks Pfeilsymbol: aus der Webseite heraus W-Symbol: Link zur Wikipedia lautet: „Man kann nicht nicht kommunizieren.“ Jegliches aufeinander bezogene Verhalten ist in dieser Auffassung als Kommunikation anzusehen. An dieser Stelle wird dagegen davon ausgegangen, dass Kommunikation von bestimmten Bedingungen abhängt. Sind diese nicht erfüllt, kann nicht von Kommunikation gesprochen werden – auch wenn Menschen sich zueinander verhalten. In diesem Sinne ist der hier vertretene Kommunikationsbegriff enger.

Das Werk Menschliche Kommunikation: Formen, Störungen, Paradoxien (s. u.) „…handelt von den pragmatischen (den verhaltensmäßigen) Wirkungen der menschlichen Kommunikation, unter besonderer Berücksichtigung von Verhaltensstörungen“ (S. 13). Ausgangspunkt für Watzlawicks Axiom war darin zum einen die Beobachtung und Beschreibung von Verhalten, ohne dabei auf ‚innere Vorgänge‘ Bezug zu nehmen, und zum anderen der Fokus darauf, wie Menschen sich zueinander in Beziehung setzen. Watzlawick sah Kommunikation entsprechend als ein Medium an, in dem sich zwischenmenschliche Beziehungen manifestieren (S. 22). Diese Voraussetzungen werden zusammen mit dem berühmten Axiom Watzlawicks häufig unreflektiert übernommen.

Nach Watzlawick kommunizieren Menschen beispielsweise schon dadurch, dass sie sich zum Beispiel anschauen oder wegschauen:

„Handeln oder Nichthandeln, Worte oder Schweigen haben alle Mitteilungscharakter: Sie beeinflussen andere, und diese anderen können ihrerseits nicht nicht auf diese Kommunikationen reagieren und kommunizieren damit selbst. Es muß betont werden, daß Nichtbeachtung oder Schweigen seitens des anderen dem eben Gesagten nicht widerspricht. Der Mann im überfüllten Wartesaal, der vor sich auf den Boden starrt oder mit geschlossenen Augen dasitzt, teilt den anderen mit, daß er weder sprechen noch angesprochen werden will, und gewöhnlich reagieren seine Nachbarn richtig darauf, indem sie ihn in Ruhe lassen. Dies ist nicht weniger ein Kommunikationsaustausch als ein angeregtes Gespräch.“ (S. 51)

Watzlawick / Beavin / Jackson: Menschliche Kommunikation: Formen, Störungen, Paradoxien, Bern; Stuttgart; Toronto: Huber, 1990. 1. Auflage 1969. Originalausgabe: Pragmatics of Human Communication. A Study of Interactional Patterns, Pathologies, and Paradoxes, W. W. Norton & Company, Inc., New York 1967). Mehr dazu siehe hier auf dieser Webseite.

Zwei kommunizierende Wesen

Demgegenüber sagte Niklas Luhmann während einer Vorlesung, das Zugabteil sei ein Ort mit der Sondererlaubnis, nicht zu kommunizieren (Einführung in die Systemtheorie, Heidelberg 2002). Das ist folgendermaßen zu interpretieren: Auch wenn Menschen sich an einem Ort befinden und sich dort gegenseitig wahrnehmen, soll das, was sich dort an aufeinander bezogenem Verhalten beobachten lässt, nicht unbedingt als Kommunikation beschrieben werden. Dies würde vom Axiom „Man kann nicht nicht kommunizieren“ jedoch gefordert.

In der hier vertretenen Sichtweise ist der Kommunikationsbegriff anders gefasst. Zum Beispiel kann bereits der Beginn von Kommunikationsprozessen als eine Problemstellung für sich angesehen werden. Dies wäre schlecht möglich, wenn nur vom Axiom „Man kann nicht nicht kommunizieren“ ausgegangen würde. In der hier vorgeschlagenen Modellierung müssen weiterhin einige Bedingungen erfüllt sein, die einen Start des Kommunikationsprozesses ermöglichen. Als erste Bedingung sei der Start der Kommunikation durch den Rezipienten genannt. Das heißt, dass nicht das Sprechen schon als Start der Kommunikation anzusehen ist, sondern das Einlassen des Rezipienten auf die Aktivität des Sprechers. Dies gilt natürlich in entsprechender Weise für nichtsprachliche Kommunikationsformen.

Sobald der Kommunikationsprozess angelaufen ist, ist als nächste Bedingung die Subjektion zu nennen, das heißt die Unterwerfung der eigenen Gedanken unter das, was der Andere sagt, zeigt und als Thema initiiert.

Noch ein Weiteres: Jedes beobachtete Verhalten kann gedeutet werden, z. B. als ein Handeln eines bestimmten Typs oder als ein Hinweis auf bestimmte Emotionen. Jede Beobachtung eines Menschen kann also dazu verwendet werden, um schlusszufolgern und Wissen („Information”) über sie/ihn zu generieren. Sämtliche Wahrnehmungen auf diese Weise als Kommunikation anzusehen und zu sagen: „Man kann nicht nicht kommunizieren”, verallgemeinert den Kommunikationsbegriff maximal. Dagegen macht es Sinn, zum Kommunikationsbegriff eine „Absichtlichkeit” zu zählen. Erst durch den Einbezug einer Absichtlichkeit, die partnerbezogen und darauf gerichtet ist, sich mitzuteilen und auf diesem Weg Verständigung und nachgeordnete Zwecke zu erreichen, kann ein beobachtetes Verhalten als kommunikatives Verhalten angesehen werden (vergleiche dazu: Ungeheuer, Gerold: Einführung in die Kommunikationstheorie, herausgegeben und eingeleitet von Karin Kolb, Jens Loenhoff und H. Walter Schmitz, Münster: Nodus Publikationen 2010, S. 33 f.)

Folgerungen

Eine derartige kommunikationstheoretische Modellierung verschiebt den Fokus vom Produzenten auf den Rezipienten. Dies bietet den Vorteil, dass das Kommunikationsmodell auf viele kommunikative Situationen nicht nur im beruflichen Alltag übertragen werden kann. Es kann beeinflusst und gesteuert werden, ob kommuniziert wird oder nicht, oder wie viel. Hierher gehört als Beispiel das weit verbreitete (und wahrscheinlich kaum vollständig lösbare) Problem, dass die Mitarbeiter in den Abteilungen voneinander und über die wichtigsten Vorgänge Bescheid wissen müssen – und das weder zu wenig, noch zu viel. Dieses Problem wird oft mit der allgemeinen Metapher des „Informationsflusses in der Organisation“ beschrieben.